Sunday, September 2, 2012

Eine allgemeine Wehrpflicht ist teurer als manche glauben

An verschiedenster Stelle, z.B. im Standard, wird behauptet, bei einer Volksabstimmung über die Wehrpflicht stimme die "großteils davon nicht betroffene Bevölkerung" ab.

Das ist eine seltsame Behauptung. Wer soll diese nicht betroffene Bevölkerung sein?

Es sind vermutlich weder:
1. Die Wehrpflichtigen, denn die müssen den Wehrdienst leisten.
2. Die Steuerzahlenden, denn diese finanzieren die allgemeine Wehrpflicht und alle weiteren sozialen Kosten.
3. Unternehmen, denn diese haben uU Kosten durch die Wehrpflicht, wenn Lehrlinge zum Dienst müssen, bzw profitieren uU von den Fähigkeiten, die die jungen Männer beim Heer (auf Kosten der Allgemeinheit) erwerben, z.B. Führerscheine, o.ä.
4. Die Kranken und Alten, da diese von den billigen Zivildienern profitieren, die die Kosten der Pflege und Versorgung niedrig halten.
5. Politiker und Politikerinnen, die das Thema für Selbstdarstellung verwenden (können).

Wer bleibt da noch über?

1. Aus ökonomischer Sicht ist die Wehrpflicht eine ineffiziente Form der Organisation einer Armee, da die positiven Auswirkungen einer Spezialisierung vergeudet werden, d.h., wer in der Armee produktiver als in anderen Bereichen ist, sollte dort tätig sein. Eine allgemeine Wehrpflicht ignoriert Unterschiede in den Fähigkeiten und setzt Personen daher ineffizient ein, d.h., vergeudet Ressourcen.

2. Es wird argumentiert, dass eine allgemeine Wehrpflicht billiger als eine Berufsarmee sei, da die Wehrmänner keine Bezahlung im üblichen Sinn erhalten, sondern nur den Sold. Das ist klarerweise eine falsche Betrachtung (Opportunitätskosten!), da diese Betrachtung die sozialen Kosten der vergeudeten Ressourcen ignoriert!
Kerstens und Mayermans zeigen, dass die gesamten Kosten der belgischen Wehrpflicht rund doppelt so hoch als die reinen budgetären Kosten waren.

3. Eine allgemeine Wehrpflicht kann auch zu langfristigen sozialen Kosten führen, wenn die Wehrmänner wegen der Wehrpflicht ihr Verhalten ändern, zum Beispiel, wenn sie weniger in Ausbildung investieren: Keller, Poutvaraa und Wagender zeigen, dass eine allgemeine Wehrpflicht zu weniger Studienabschlüssen führt. In manchen Fällen dürfte es allerdings zum gegenteiligen Effekt gekommen sein, Maurin und Xenogiani zeigen, dass Männer in Frankreich wegen der Wehrpflicht vermehrt studierten, vermutlich um die Wehrpflicht aufzuschieben und vermutlich in der Hoffnung, sie gänzlich zu vermeiden. Beides(!) ist ineffizient--weder sollten Männer studieren, die es nicht wollen oder anderswo produktiver sind, denn auch das hat Opportunitätskosten, noch sollten jene nicht studieren, die es wollen und könnten.

4. Es gibt widersprüchliche Evidenz über die Konsequenzen einer Wehrpflicht in Friedenszeiten für die Wehrmänner: Card und Cardoso finden, dass junge, schlecht ausgebildete Portugiesen von der Wehrpflicht in Form von höheren Löhnen profitierten. Bauer, Bender, Paloyo und Schmidt finden hingegen, dass derartige Lohnsteigerungen bei deutschen Männern von unterschiedlichen Merkmalen stammen, d.h., gesunde Männer leisten ihre Wehrpflicht ab und weniger gesunde nicht--und gesunde Männer verdienen besser als weniger gesunde.

Fazit: Wer behauptet, die Wehrpflicht ginge nur Männer etwas an, macht einen Fehler--die effiziente Verwendung von Ressourcen betrifft alle!

Literatur

Bauer, Bender, Paloyo und Schmidt, 2012, "Evaluating the labor-market effects of compulsory military service", European Economic Review.
Card und Cardoso, 2011, "Can Compulsory Military Service Increase Civilian Wages? Evidence from the Peacetime Draft in Portugal", NBER working paper 17694.
Keller, Poutvaraa und Wagener, 2009, "Does Military Draft Discourage Enrollment in Higher Education? Evidence from OECD Countries", IZA discussion papers 4399.
Kerstens und Meyermans, 1993, "The draft versus an all‐volunteer force: Issues of efficiency and equity in the Belgian draft", Defence Economics.
Maurin und Xenogiani, 2007, "Demand for Education and Labor Market Outcomes", Journal of Human Resources.
Rauscher, 2012, "Energiesparlampe: Das Lobby-Licht", Standard vom 31.8.2012.

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